Musikbranche und Corona


Hannes Tschürtz zur Lage der Musikbranche

hannes tschürtz,c markus sandner

Ink Music Geschäftsführer und IFPI Vorstandsmitglied Hannes Tschürtz erläutert in einem Interview mit der Zeitschrift Horizont die aktuelle Lage der Musikbranche.

Wie hat sich aus Ihrer Sicht die österreichische Musikwirtschaft VOR Corona entwickelt?

Wir haben nach einem sehr langen und mühsamen Weg die Entwicklung hin zu einem selbstbewussten, recht eigenständigen Musikmarkt geschafft. Weil die Musikwirtschaft ein unglaublich komplexer Wirtschaftszweig ist, ist das immer noch ein sehr zartes Pflänzchen gewesen, aber es war grün, wuchs und trug erste Blüten.

Wie hat sich dieser Zustand – Stichwort Corona – in den vergangenen Monaten geändert?

Das wird sich erst in Jahren schlüssig beantworten lassen, aber schon jetzt wird sichtbar, dass es einen brutalen Kahlschlag geben wird. Eine internationale Studie hat schon im Sommer davon gesprochen, dass ein Drittel der Kreativen im Musikbereich ihren Beruf bleiben lassen muss. Wenn wir Labels, Verlage, Agenturen unsere Mitarbeiter durch wegbrechende Einnahmen nicht erhalten können, verlieren wir dadurch das lange erarbeitete Know-How und Netzwerk und müssen von vorne anfangen. Das wirkt sich dann auch wieder auf kommende Projekte und deren Einkunftsmöglichkeiten aus. Ein Teufelskreislauf. Abgesehen davo,n ist das Geschäft von langen Investitionszyklen und sehr viel Planung geprägt. All diese Faktoren arbeiten jetzt gegen uns: Aktuell fehlt wegen des Stillstands im Live-Betrieb die finanzielle Ausstattung neuer Projekte, strategische Planungen müssen täglich über den Haufen geworfen werden.

Um beim Pflanzenvergleich zu bleiben: Uns fehlt Nährstoff und Wasser, wir wissen aber plötzlich auch nicht mehr, wann Sommer und Winter ist oder wann die Sonne scheint.

Welche Herausforderungen warten in den kommenden Monaten mit Blick auf das Jahr 2021?

Durch die langen Zyklen im Geschäft werden viele Katastrophen überhaupt erst 2021 spürbar – z.B. wenn Tantiemen aus 2020 fällig würden, die jetzt einfach ausbleiben werden. Ich befürchte zudem, dass die sozialen Töpfe, die schnell und proaktiv von vielen bereit gestellt wurden, mittelfristig zu hohem Spardruck bei Institutionen führen werden, die als Fördergeber oder Investitionspartner essentiell für das Funktionieren der Musikwirtschaft sind.

Bis Herbst 2021 ist im Live-Betrieb nicht wirklich mit einer Normalisierung zu rechnen und auf eine „neue Normalität“ kann sich selbst eine schnell bewegende Industrie nicht so ohne weiteres und ohne fremde Hilfe einstellen. Der filigrane Kreislauf der Musikwirtschaft ist so nachhaltig gestört, dass es ohne positive Intervention – sprich: öffentliches Investitionskapital – nicht gehen wird. Gleichzeitig könnte man die positiven Entwicklungen des Standorts Österreich der letzten Jahre gerade im Lichte von Brexit und Corona zu einem echten Vorteil machen, wenn man jetzt entschlossen handelt.

Investieren in IP ist und bleibt eine Zukunftsperspektive. Man darf nicht unterschätzen, welch weitreichende wirtschaftliche und auch symbolische Kraft eine gut funktionierende, lokale Musikwirtschaft hat. Wir sind wie eine erfolgreiche Fußball-Nationalmannschaft.

Welche Rahmenbedingungen müssten aus Ihrer Sicht geändert werden?

Wir haben mit dem Österreichischen Musikfonds ein klug aufgestelltes, zentrales Förderinstrument, dessen wesentlichste Leistung es aber war, die wichtigsten Stake- und Shareholder zu einem beständigen, sachlichen Dialog zu vereinen. Dort sind viele Ideen und Projekte entstanden, die mit fast beschämend geringen Mittel erstaunliches angestoßen haben. Es gibt seit Jahren sehr gescheite Ausbaupläne, die sich vor allem um bessere Vernetzung, Ausbildung und Vermarktung der Produktionen drehen. Dort müsste man mit Investitionen ansetzen, weil man mit immer noch sehr wenig Geld sehr viel nachhaltig Positives auslösen könnte.

Wir stehen an einer Weggabelung. Man kann einem ganzen Wirtschaftszweig jetzt sehr einfach und „live“ aufgrund der Rahmenumstände beim Verwelken zusehen oder die Initiative ergreifen und zeigen, dass Österreich wirklich eine „Kulturnation“ ist, die sich stark über ihre kreativen Geister definiert – im Wissen, dass sie von ihnen auch sehr stark profitieren kann.

Das Interview ist am 30.9.2020 im Horizont erschienen.

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